Das Zuschauer

Was wäre der heilige Tag der Woche auf den Plätzen der Kreisliga ohne die zahllosen Zuschauer, Fans und Fanatiker? Sicherlich würde der Unterhaltungsfaktor massiv leiden und die Qualität der dargebotenen Leistungen würde wohl auch nicht positiv beeinflusst. Nähern wir uns dem Thema des Zuschauens mal an, indem wir einige Fragen stellen und diese versuchsweise beantworten.

Wer verirrt sich auf die Äcker? Warum tun sich die Leute das an? Wie verhalten sich die unterschiedlichen Fabrikate des Modells Zuschauer? Wer ist an den Seitenrändern der hochmodernen Sportanlagen anzutreffen und was zeichnet jene Personen konkret aus? Dann wollen wir uns mal anschauen, wer da hinter den verrosteten Banden herumsteht, um sich seine wöchentliche Portion Hochgeschwindigkeitsfußball abzuholen.

-Eltern: Bereits in den Jugendmannschaften sind viele Eltern die Triebfedern des ausgewachsenen Ehrgeizes. Sie kutschieren ihre Sprösslinge in die Käffer am Rande der Zivilisation, binden die Schuhe, feuern an, geben hochprofessionelle Anweisungen, beleidigen den Schiedsrichter, pöbeln die gegnerische Mannschaft samt Anhang in Grund und Boden und halten neuerdings ihre Handys auf das Geschehen, um den Instagramm-Account des 6-jährigen Mega-Talents auf dem Laufenden zu halten. Wenn die Kinder dann über Umwege den Sprung ins Seniorendasein geschafft haben (Talent verkannt, daher weiter Kreisliga), stellen sie sich dann hinter die Absperrungen und verfolgen das hektische Gekicke. Mittlerweile sind die Eltern etwas ruhiger geworden und treten verbal etwas auf die Bremse. Nach dem Spiel wird die Leistung des Kindes bei nem Pils reflektiert, früher gab es je nach Bewertung auch mal ne Cola.
Mal kurz ohne ironischen Sarkasmus. Ohne die zahlreichen Eltern, wäre ein Spielbetrieb in den Jugendmannschaften undenkbar. Sie finanzieren den Freizeitspaß mit ihrem Geld und vor allem mit massig Zeit. Ohne die fahrenden Eltern würden viele Spiele gar nicht stattfinden können. Sie trösten nach Niederlagen, backen unermüdlich für Mannschaftsnachmittage und stellen sich bei Turnieren auch mal hinter die Theke.

– Spieler aus anderen vereinsinternen Mannschaften: Die Strukturen der Kreisligamannschaften geben es her, dass bspw. um 13 Uhr die 2. Mannschaft ihrem Hobby nachgeht und um 15 Uhr die Startruppe der 1. Mannschaft ihr Glück versucht. Dadurch gibt es unterschiedliche Szenarien. So reisen einige Gladiatoren der 1. Mannschaft bereits früher zum Ort des Spektakels, um sich schon einmal auf Betriebstemperatur bringen zu können. Bei Kaffee, Kippe und mit der obligatorischen Sonnenbrille ausgestattet (der Kneipenbesuch ging doch etwas länger…) feuert man seine Farben an. Bekleidet mit der verwaschenen Kunststoffjacke samt abblätternden, aufgebügelten Initialien versucht man Einfluss auf das Geschehen zu nehmen. Sachdienliche Hinweise werden an den Unparteiischen weitergeleitet („Der hat doch schon gelb!“ „Immer der 5er!“ „Abseits!“).
Irgendwann ist auch das Spitzenspiel aus der D-Kreisliga beendet und die von Krämpfen und Atemnot geplagten Spieler widmen sich der individuellen Regeneration. Kippe gegen Luftproblematik und isotonisches Pils gegen die schmerzhaften Krämpfe. Wichtig, vorher das Trikot auf links ziehen oder den Oberkörper freimachen, um dem gierigen Kassenwart nicht zum Opfer zu fallen. Der Alkohol in Kombination mit den adrenalinerzeugenden überstandenen 90 Minuten wirken wahre Wunder. Da können sich die Vorsänger aus den Kurven der Bundesliga noch ein Scheibchen von abschneiden. Es wird gegrölt, gesungen, gefeiert. Die Spieler der 2. Mannschaft zeigen neben dem Platz fast mehr Einsatz als vorher auf selbigen. Sicherlich gehen dem einen oder anderen Kameraden auch mal die Pferde durch und die Wortwahl passt sich dem steigenden Pegel an.

– Die Alteingesessenen: Jeder Verein hat sie und jeder Verein braucht sie. Menschen, die ihren Farben über Jahrzehnte die Treue gehalten haben. Von der Kindheit an malträtierten sie ihre Knochen für die Mannschaft und ließen ihre Karriere bei den „Alten Herren“ ausklingen. In unterschiedlichen Positionen blieben sie dem Verein auch nach der aktiven Zeit erhalten (Jugendtrainer, Kassenwart, Würstchendreher, Betreuer etc…) Und wenn ein Weg gepflastert werden muss, Grünzeug zurückgeschnitten werden muss oder Reparaturarbeiten jedweder Art anstehen, kann man sich auf sie verlassen.
Und sonntags geht es zum Platz. Das war schon immer so und weil der Mensch ein Gewohnheitstier ist, bleibt es auch so. Die Kneipen im ländlichen Bereich haben vielerorts ihre Pforten für immer geschlossen und so liegt der Ausflug am Wochenende auf der Hand. Beim Fußballverein werden soziale Kontakte gepflegt (man kennt und schätzt sich), das Pils auf dem Stammplatz im Vereinsheim mit Blick auf das fußballerische Treiben schmeckt gleich doppelt so gut und mit alten Mitspielern werden Anekdoten ausgetauscht. Für die Aktiven sind diese Persönlichkeiten enorm wichtig. Sie sind Ansporn und Vorbild zugleich und ihre Meinung zählt.

– Management: So wie es sich für die börsennotierten Imperien der Bundesliga gehört, sind ähnliche Strukturen auch in den Kreisligen vorzufinden. Vorstandsvorsitzende, Sportliche Leiter und anderweitige Positionen werden auch hier von ikonenhaften Gestalten ausgefüllt. Aufgrund ihrer Verantwortung und Aura finden sie sich auch am Spielfeldrand ein. Die Leitungsebene ist im Gegensatz zu den Bundesliga-Amateuren von sehr facettenreichen Menschen besetzt, die ihre (ehrenamtlichen) Bemühungen nicht nur auf den lokalen Fußballverein beschränken. Nein, sie sind auch im Schützenverein aktiv, gehen mit ihren mittelständischen Betrieben den überlebensnotwendigen Sponsoringtätigkeiten nach, pflegen die Internetpräsenz, organisieren Veranstaltungen für die Jugend und helfen auch bei privaten Problemchen der Vereinsmitglieder. Sie fachsimpeln am Rand mit den alteingesessenen Zuschauern, sammeln den kleinen Obulus von 2-3 Euro bei dem Publikum ein und lassen nach dem Spektakel noch einen Kasten für die Spieler springen. Oftmals eher nüchtern und sachlich dem Geschehen folgend, werden aber auch gelegentlich deutliche Worte gefunden.

– Kinder: Wo ein Ball rollt, sind Kinder nicht fern. Die Wurzeln der herumtollenden Blagen sind sehr unterschiedlich. Einige haben die zweifelhafte Ehre mit den herumbolzenden Erwachsenen in einer verwandschaftlichen Beziehung zu stehen. Andere wachsen in der Nähe des Sportvereins auf und vertreiben sich ihre smartphonefreie Zeit auf dem Gelände. Wieder andere spielen selbst in einer Jugendmannschaft und wollen ihre großen Vorbilder in Aktion sehen. Generell bietet der Sportplatz am Wochenende viel für die nachfolgende Generation. Soziale Kontakte, Süßigkeiten, sportliche Betätigung und viele wachsame und erzieherisch tätige Augenpaare.

Diese Ausarbeitung ist natürlich unvollständig und könnte nach Belieben fortgesetzt werden. Spielerfrauen, Spielerinnenmänner (oder einfach Partner der Akteure); Spieler von anderen Mannschaften (Betriebsspionage); Freunde und Bekannte (moralische Unterstützung) usw.

Vielleicht beim nächsten Mal…